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Wohl unter Linden

Die Winterlinde ist Baum des Jahres 2016. Da wird es Zeit, dass wir uns darunter setzen und ihren Geschichten lauschen, auch wenn oder gerade weil jetzt Winter ist.

Die Winterlinde Tilia cordata ist nicht vom Aussterben bedroht, auch wenn sie in den Wäldern seltener geworden ist und vielfach vor allem der Buche Platz machen musste. Die Winterlinde ist - wie auch die Sommerlinde - ein besonderer Baum, ja gar ein Mythos. Seit Urzeiten bedeutet sie den Menschen viel. Unter ihr wurde Gericht gehalten und getanzt, Altäre wurden aus ihr geschnitzt, Alleen wurden mit ihr bepflanzt, ihr Honig genutzt und ihre Seele gedeutet: Linden so hieß es, vertragen kein Unrecht.

Vieles davon ist uns heute nicht mehr recht bewusst, und so ist es richtig, die Linde zum Baum des Jahres zu küren, ihr die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie in früherer Zeit ganz selbstverständlich hatte.

Die Linde wurde immer schon besungen

Wer heute nach der Linde gefragt wird, kann vielleicht gar nicht den Baum als solches beschreiben, aber es werden ihm Textzeilen aus Gedichten und Liedern einfallen - denn derer gibt es viele. So wie dies Lied von Robert Stolz, den Text schrieb Bruno Hardt-Warden:

Vor meinem Vaterhaus steht eine Linde,
Vor meinem Vaterhaus steht eine Bank,
Und wenn ich sie einst wieder finde,
Dann bleib ich dort mein Leben lang.
Dann wird die Linde wieder rauschen
Ihr liebes altes Heimatlied.
Mein ganzes Herz wird ihr dann lauschen,
Das oft in Träumen heimwärts zieht!
Mein ganzes Herz wird ihr dann lauschen.
Wer weiß, wer weiß, wann das geschieht! (…)

Ein populäres Lied, von Rudolf Schock, Willy Schneider und vielen anderen gesungen. In früheren Jahrzehnten gehörte es in jeden Plattenschrank. Die eigentliche Hymne auf die Linde ist aber sicher das Volkslied „Am Brunnen vor dem Tore“, von Wilhelm Müller als Gedicht „Der Lindenbaum“ 1823 veröffentlicht. Franz Schubert hat es dann vertont.

Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süßen Traum.

Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
Zu ihm mich immer fort. (…)

Doch die Romantiker des 19. Jahrhunderts waren nicht die ersten, die die Linde besangen, schon die Minnesänger wie Walter von der Vogelweide erzählten vom Stelldichein unter der Linde:
"Unter der Linde / bei der Heide / wo unser zweier Bette war / da könnt ihr noch gebrochen finden / die Blumen und das Gras.  / Im Tal vor dem Wald / sang so schön die Nachtigall. / Tandaradei."

 

Die Tanzlinde in Peesten (Benreis auf wikivoyage shared / CC BY-SA 3.0)



Dorflinden und Tanzlinden

Die Linde behütet die Liebenden und sie lädt ein zum Tanze. Schon im Mittelalter war das selbstverständlich und bereits Karl der Große maß der Linde große Bedeutung zu. Er ordnete an, dass vor jeden Hof eine Linde gepflanzt werden sollte zum Schutz vor Blitzschlag und bösen Geistern und auch wegen des kostbaren Honigs.

Spätestens seit der Zeit prägt die Linde das Zentrum vieler Dörfer bis heute, steht schützend vor Gehöften und säumt die Fahrwege. Als Kurfürst Friedrich Wilhelm 1647 nach den Verwüstungen durch den Dreißigjährigen Krieg in Berlin zwischen Stadtschloss und Tiergarten einen Reitweg neu anlegen ließ, pflanzten seine Gärtner zweitausend Bäume. Eintausend davon waren Linden. „Unter den Linden“ nannte man fortan diesen kurfürstlichen Reitweg, den Friedrich Schinkel später zur Prachtallee ausbaute. Von den ersten Linden steht dort keine mehr, wohl aber in so manchen Dörfern haben Linden überdauert. Und noch immer sind sie - Jahrhunderte alt - als Tanzlinden im Einsatz, breiten ihr Laub über Tanzende und Tanzflächen aus, die sogar kunstvoll in die Linde hineingebaut wurden. Vor allem diese Linden sind es, die unser Gemüt geprägt haben.
 

Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet,
Die Jahrhunderte schon an dieser Stelle gewurzelt,
War mit Rasen bedeckt ein weiter grünender Anger
Vor dem Dorfe, den Bauern und nahen Städtern ein Lustort.
Flach gegraben befand sich unter den Bäumen ein Brunnen.
Stieg man die Stufen hinab, so zeigten sich steinerne Bänke,
Rings um die Quelle gesetzt, die immer lebendig hervorquoll,
Reinlich, mit niedriger Mauer gefaßt, zu schöpfen bequemlich.

Das schreibt Goethe Ende des 18. Jahrhunderts kunstvoll in seinem Epos “Hermann und Dorothea.“  Die Dorflinde ist nicht nur Gerichtsbaum oder Tanzbaum, sondern täglicher Treffpunkt und soziales Zentrum, ist der Ort, um sich ins Gespräch zu vertiefen, ist der Ort, an dem man Abschied nimmt und nach dem man sich zurücksehnt.

 

Zundelbacher Linde im Sommer (Andreas Praefcke / CC BY 4.0)

 


Die Linde steht für Heimat

Die Linde, so beschreibt sie Clemens Zerling in seinem Buch über Pflanzensymbolik, war und ist vor allem eins: Heimat. Auch wenn die Linde als Baum anderen Bäumen wie der Buche im Wald Platz gemacht hat, ist sie doch immer noch allgegenwärtig - eben nicht nur als Baum: als „Gasthof zur Linde“, als „Lindenwirtin“, als „Lindenstraße“, als Udo Lindenberg oder Astrid Lindgren. Und allein in Deutschland als Namensgeber für mehr als tausend Ortschaften von Linden in Schleswig-Holstein  bis Lindau am Bodensee. Alles Zeichen der Verehrung und Vergötterung, und das schon seit den Zeiten der Germanen.

Vielleicht ist das so, weil die Linde vor allem einen, ja mütterlichen Charakter hat. Sanft ist alles an ihr, das Blatt, der Schatten, das Holz, und sie kann so wunderbar duften. Sie hütet und beruhigt den Menschen und nährt ihn zudem. Zur Blütezeit ist die Linde eine endlose Weide für Bienen und Hummeln. Bis zu 60.000 Blüten öffnen sich. Und wer die geschnitzten Altäre und Madonnen von zum Beispiel Tillman Riemenschneider bewundert, schaut meist auf Lindenholz. Lindenholz ist „Lignum sacrum“, heiliges Holz.

Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
rühren sich wieder in den tausend Zweigen
und wachen wieder zwischen Tag und Traum.

Man gerät wie hier Rilke ins Träumen und Schwärmen, wenn man von der Linde spricht. Botaniker sind da etwas sachlicher, so wie der der Leiter des Botanischen Gartens in Köln, Stephan Anhalt. Die Linde ist für ihn vor allem deshalb ein besonderer Baum, weil ihr Holz anders ist.

 

Späte Blüte für die Bienen

Die Linde ist schnellwüchsig und das Holz ist nicht dauerhaft, aber es eignet sich zum Schnitzen und immer schon wurde Lindenbast aus dem Holz gewonnen zum Beispiel für Schuhwerk. Auch erreichen laut Stephan Anhalt die Linden kein höheres Alter als andere Bäume, aber es haben sich an exponierter Stelle eben viele Linden erhalten. Aber, so Anhalt, stehe da oft nur der eigene Klon. Besonders bei über 1000jährigen Linden gäbe es den alten Stamm längst nicht mehr, dafür aber hätten sich Sprosstriebe entwickelt, die Linde sei halt sehr vital.

Vor allem aber unterscheide sich die Linde von anderen Bäumen durch ihre relativ späte Blüte zu Beginn des Sommers. Wichtig für die Bienen, die so noch reichlich Nektar finden, wenn an anderen Bäumen schon die Früchte reifen. Leider lockt vor allem die Silberlinde noch immer mit ihren Düften, wenn schon gar kein Nektar mehr da ist. Hummeln wird das oft zum Verhängnis.

Eine eigene Linde in den Garten zu setzen, davon rät Anhalt ab. Die heutigen Gärten seien zu klein, es sei denn man mache sich die Mühe, die Linde, so wie früher oft üblich, zu schneiden, dass sie sich ans Haus anpasst und so im Sommer schön Schatten gibt, im Winter aber das Licht durchlässt.

Blüte der Winterlinde (N p holmes / CC BY-SA 3.0)

 

 

Wenn die Linde erklingt

Wer nun aber wünscht, für den ganzen Ort eine Dorflinde anzupflanzen, der braucht Geduld. Hundert Jahre dauert es schon und es braucht handwerkliches Geschick, die Linde so zu erziehen, die Zweige so zu leiten, dass man dann dereinst einen Tanzboden ins Geäst einziehen kann. In ihrem liebevollen Buch über die Linde zitiert Ruth Schneebeli-Graf einen Text über die Tanzlinde im westfälischen Leeden. Demnach mussten die Handwerker, den Boden einebnen, glätten, eventuell aufschütten, Stützmauern ringsum setzen, Pfosten setzen mit Querbalken darauf, dann immer wieder die Äste der Linde schneiden und leiten. Und erst dann konnte getanzt werden: „Auf der untersten Bretterbühne spielten jeweils die Musikanten, darüber in der Höhe drehten sich die tanzenden Paare.“

Der Tanz unter der selbstgepflanzten Linde wird also allenfalls ein Reigen um den jungen Baum sein. Aber vielleicht klingt ja schon eine junge Linde und singt eine Nachtigall darin. So wie es Astrid Lindgren in ihrer schönen und traurigen Geschichte „Klingt meine Linde“ erzählt. Das Mädchen Malin schenkt darin ihre Seele der Linde, damit diese auch tatsächlich klingt und eine Nachtigall darin singt:
„In der Linde lebe ich weiter, bis zum Ende der Zeit wohne ich dann in meinem kühlen grünen Haus, und die Nachtigall singt für mich an den Abenden und in den Nächten des Frühlings. Und alles wird froh.“ - Malin behält recht. Ihre Linde klingt und die Nachtigall singt.

Die Linde ist also ein besonderer Baum. Und die Baum-des-Jahres-Jury ist sicher schon mit uns zufrieden, wenn wir in diesem Sommer einfach mal nach Linden Ausschau halten und uns am Brunnen vor dem Tore unter einer Linde niederlassen - „uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit“, wie es im Lied „Kein schöner Land“ heißt. Dort unter der Linde kann man dann wie die Germanen nach der Wahrheit suchen - denn Unrecht verträgt die Linde nicht - oder einfach nur tanzen.


Bildquellen: Alle Bilder in diesem Artikel von commons.wikimedia.org
Titelbild des Artikels: Zundelbacher Linde (Fabian Börner / CC BY-SA 3.0)

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